HINTERGRUNDINFORMATIONEN ÜBER DEN EDELSTAM-PREISTRÄGER 2024: DAWIT ISAAK
Dawit Isaak, ein schwedisch-eritreischer Staatsbürger, hat zusammen mit seinen eritreischen Kollegen Seyoum Tsehaye, Temesgen Ghebreyesus und Amanuel Asrat 23 Jahre lang in Eritrea im Gefängnis verbracht, ohne Gerichtsverfahren.
Siesind die am längsten inhaftierten Journalisten der Welt.
Dawit Isaak wurde am. 27. Oktober 1964 in Asmara in Eritrea geboren, das zu dieser Zeit von Äthiopien besetzt war. Eritrea, das am Horn von Afrika liegt, hatte damals einen jahrzehntelangen Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien geführt.
Schon als kleiner Junge begeisterte sich Dawit Isaak, inspiriert von seiner Mutter, für Geschichte und Literatur. Bereits in der Schule schrieb er ein Theaterstück über Zensur, das verboten wurde, weil es den politischen Status quo in Frage stellte.
In seinen jungen Jahren wurde Dawit von den sozialen und politischen Veränderungen in Eritrea stark beeinflusst. Obwohl er 1985 auf der Flucht vor dem eritreisch-äthiopischen Konflikt nach Schweden zog, blieb seine Verbindung zu Eritrea und seinem Volk stark. In Schweden ließ er sich zunächst in Göteborg nieder, wo er schnell ein aktives Mitglied der eritreischen Diasporagemeinschaft wurde. Dort begann er sich einen Namen zu machen, nicht nur als Verfechter der eritreischen Unabhängigkeit, sondern auch als Künstler und Dramatiker. In seiner neuen Heimat wuchs seine Überzeugung von der Macht der freien Meinungsäußerung und von der Rolle der Medien bei der Gestaltung einer gerechten Gesellschaft. Schweden bot Dawit einen sicheren Hafen, einen Ort, an dem er seine Ideen frei äußern konnte. Dennoch behielt er den Kampf Eritreas stets im Hinterkopf. Außerdem engagierte er sich in der Eritreischen Nationalen Union und war Redakteur der Verbandszeitschrift Dimitsi Eritrawian.
Dawit Isaak erhielt die schwedische Staatsbürgerschaft. Er beantragte jedoch die eritreische Staatsbürgerschaft, um an der Volksabstimmung über die nationale Unabhängigkeit teilnehmen zu können. Nach einem brutalen Befreiungskampf von 1961 bis 1991 erklärte das Land 1993 seine Unabhängigkeit und weckte Hoffnungen auf Demokratie und nationalen Wiederaufbau.
Die Geburt einer neuen Nation versprach Freiheit und Selbstbestimmung für die Eritreer, und Dawit Isaak reiste regelmäßig zwischen Schweden und Eritrea hin und her, weil er glaubte, dass der Journalismus dazu beitragen könnte, die entstehenden demokratischen Ideale Eritreas zu stärken. In Eritrea lernte er seine Frau Sofia Berhane kennen. Sie heirateten 1992 und bekamen drei Kinder.
Im Juni 1996 wurde in Eritrea ein neues Pressegesetz verabschiedet, das die Gründung freier, unabhängiger Zeitungen ermöglicht. Die Publikation Setit wurde 1997 von Aaron Berhane gegründet. Ein paar Monate später wurde Dawit Isaak Miteigentümer der Zeitung. Setit wurde zu einer wichtigen Stimme in den eritreischen Medien und bot einen Raum für offene Diskussionen. Dawits Arbeit bei Setit spiegelte sein unermüdliches Engagement für Wahrheit, Rechenschaftspflicht und die Hoffnung auf eine freie Presse in Eritrea wider.
Doch das politische Klima wurde rauer, und 1998 flammte der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea erneut auf, woraufhin Isaak nach Schweden zurückkehrte. Trotz des Versprechens einer Verfassung und freier Wahlen wurde ein Einparteienstaat errichtet, der die politische Macht in den Händen einer kleinen Elite konzentrierte. Im Frühjahr 2001 reiste Isaak zurück nach Eritrea, um weiter für die Zeitung zu schreiben.
Trotz anfänglicher Begeisterung wurde das politische Klima in Eritrea unter dem Regime von Präsident Isaias Afwerki immer feindseliger. Was als ein befreiender Moment für das eritreische Volk begann, verwandelte sich schnell in ein repressives Umfeld. Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre wurde immer deutlicher, dass das Land in eine Diktatur abdriftete, in der abweichende Meinungen weder geduldet noch sicher waren. Setit und andere unabhängige Zeitungen begannen, Artikel zu veröffentlichen, die den Kurs der Regierung in Frage stellten und größere politische Freiheiten forderten. Dawit, der sich dafür einsetzte, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, gehörte zu den Autoren und Redakteuren, die diese Bedenken äußerten. Diese offene Haltung in Bezug auf Regierungsführung und Menschenrechte machte ihn zur Zielscheibe.
Im September 2001 kamen Dawit Isaaks Frau und seine drei Kinder zu ihm nach Asmara – eine Woche später wurde Dawit Isaak verhaftet. Die eritreische Regierung ging brutal gegen Andersdenkende vor, schloss unabhängige Medien und verhaftete Journalisten und politische Reformer. Dawit Isaak wurde ohne Gerichtsverfahren festgenommen, zusammen mit anderen Journalisten inhaftiert und in Isolationshaft gehalten. Seine Verhaftung war Teil einer umfassenderen Säuberungsaktion der Regierung, die sich gegen diejenigen richtete, die den autoritären Kurs des Staates in Frage stellten – darunter die so genannte G15, eine Gruppe einflussreicher politischer Persönlichkeiten, die einen offenen Brief geschrieben hatten, in dem sie demokratische Reformen forderten und der auch in Setit veröffentlicht wurde. Dawit Isaak, alle Journalisten und die G15-Gruppe wurden daraufhin als Verräter gebrandmarkt und beschuldigt, an einem versuchten Putsch beteiligt zu sein.
Dawits jüngerer Bruder Esayas wandte sich an das schwedische Außenministerium und erhielt die Auskunft, dass das Ministerium nichts unternehmen könne, da Dawit Isaak die doppelte Staatsbürgerschaft besitze. Zu dieser Zeit hatte Schweden keine Botschaft in Eritrea. Esayas wandte sich auch an schwedische Medien, aber das Interesse war gering.
Kurz nach der Verhaftung versuchte der schwedische Honorarkonsul in Eritrea, Dawit zu besuchen. Die Anträge wurden jedoch abgelehnt. Später wandte sich auch das schwedische Außenministerium an die eritreische Botschaft in Stockholm, um den Konsul zu einem Besuch bei Dawit Isaak zu bewegen, in Übereinstimmung mit dem Wiener Übereinkommen. Im Januar 2003 hatte der eritreische Botschafter in Schweden ein Treffen mit dem Leiter der Afrika-Abteilung des schwedischen Außenministeriums. Aufgrund der Tatsache, dass Dawit Isaak eritreischer Staatsbürger ist, kam es jedoch nicht zu einer Beförderung. Treffen zwischen schwedischen Vertretern des Außenministeriums und Vertretern des eritreischen Regimes kamen und gingen. Die Antwort war immer dieselbe: Das Regime akzeptierte die schwedische Staatsbürgerschaft nicht und betrachtete das schwedische Interesse an Dawit Isaak als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Dem widersprach die Tatsache, dass Dawit Isaak seinen schwedischen Pass mehrmals bei Reisen nach und aus Eritrea benutzt hatte, zuletzt im April 2001.
Die doppelte Staatsbürgerschaft erschwerte es, die Situation von schwedischer Seite aus voranzutreiben.
Am 19. November 2005 rief Dawit Isaak seine Frau Sofia in Schweden an und teilte ihr mit, dass er freigelassen worden sei. Er rief auch Herrn Leif Öbrink an, mit dem er damals das Unterstützungskomitee „Free Dawit“ in Schweden gegründet hatte. Öbrink wandte sich an die schwedischen Medien. In einem Artikel von Elisabeth Löfgren im Länderbericht 2022 des schwedischen PEN mit dem Titel Schwedische Bürger im Ausland – Gefangene der Diktatur“ wird das Vorgehen Schwedens beschrieben: „Diesmal gab es ein großes Medieninteresse, das auch Eritrea über den eritreischen Exil-Nachrichtensender Eritrean Voices erreichte. Schwedens eritreischer Botschafter Bengt Sparre, der die Nachfolge des pensionierten Folke Löfgren angetreten hatte, wurde am 21. November im schwedischen Rundfunk interviewt. Er sprach davon, „persönliche Beziehungen zu den Machthabern in Eritrea aufgebaut zu haben, und erwähnte insbesondere den eritreischen Verteidigungsminister, der Verwandte in Schweden hat und den Bengt Sparre mehrmals besuchte. Bengt Sparre erklärte, dass sein Handeln eine wichtige Rolle bei der Freilassung von Dawit Isaak gespielt habe. Noch am selben Tag wurde Dawit Isaak erneut verhaftet und in das Gefängnis von Karsheli zurückgebracht.
Im gleichen Artikel des Länderberichts 2022 des schwedischen PEN heißt es: „Das Vorgehen der schwedischen Regierung im Zusammenhang mit der ‚Freilassung‘ von Dawit Isaak wurde scharf kritisiert. Es war ganz klar, dass es keinen Plan gab, wie Dawit Isaak im Falle seiner Freilassung aus dem Land gebracht werden sollte. Der öffentliche Aufschrei und die Äußerungen des Botschafters Bengt Sparre werden von vielen als wahrscheinlicher Grund für die erneute Verhaftung von Dawit Isaak genannt.“
Seit Dawit Isaak 2001 inhaftiert wurde, hatte Schweden elf Außenminister. Anfänglich lag der Schwerpunkt auf der konsularischen Arbeit, d.h. der Erlaubnis, Dawit Isaak im Gefängnis zu besuchen, was von eritreischer Seite strikt abgelehnt wurde. In den 23 Jahren, die seitdem vergangen sind, hat kein schwedischer Vertreter Dawit Isaak besuchen dürfen. Als die EU mit Eritrea über ein neues Hilfspaket verhandelte, wurde Dawit Isaaks Name in den Anweisungen an die Verhandlungsdelegation nicht ein einziges Mal erwähnt, und Schweden hat sich entschieden, keinen Druck auszuüben.
Schwedens Beziehungen zu Eritrea sind eingefroren. Doch seit 2014 wurde nach früheren direkten Konfrontationen eine sanftere Diplomatie betrieben. Die stillen diplomatischen Bemühungen haben sich als vergeblich erwiesen und werden weithin kritisiert.
Laut dem Artikel im Länderbericht 2022 des schwedischen PEN hat sich Reporter ohne Grenzen (RSF) dafür eingesetzt, die eritreische Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Sie haben dem Außenministerium, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament ein Rechtsgutachten vorgelegt, in dem sie argumentieren, dass Schweden nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, Dawit Isaak zu helfen. Anschließend arbeiteten sie an einer Habeas-Corpus Eingabe, die 2011 an den Obersten Gerichtshof Eritreas geschickt wurde. Eine Antwort des Gerichts liegt noch nicht vor.
Damit waren die innerstaatlichen Möglichkeiten ausgeschöpft und RSF wandte sich an die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker. Im Jahr 2016 bekräftigte die Kommission ihre Feststellungen in der Mitteilung 275/03: Artikel 19 V Eritrea, wonach der beklagte Staat a) die 18 seit September 2001 inhaftierten Journalisten (darunter Dawit Isaak) freilassen oder zu einem zügigen und fairen Prozess bringen und das Presseverbot aufheben sollte; b) den Inhaftierten sofortigen Zugang zu ihren Familien und Rechtsvertretern gewähren und c) geeignete Maßnahmen ergreifen sollte, um die Zahlung einer Entschädigung an die Inhaftierten sicherzustellen. Die Kommission forderte den beklagten Staat außerdem nachdrücklich auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Entscheidung in der genannten Mitteilung ohne weitere Verzögerung umzusetzen. Seitdem sind acht Jahre vergangen, und nichts von alledem ist umgesetzt worden.
2014 erhob das schwedisch-französische Anwaltsteam von Dawit Isaak Anklage gegen den Präsidenten Eritreas, seinen Sonderberater und mehrere Minister, unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Nach Angaben des Staatsanwalts konnte der Fall jedoch nicht untersucht werden, da von Eritrea keine Zusammenarbeit erwartet wurde. Nach einer Überprüfung erklärte der schwedische Generalstaatsanwalt, dass der Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestehe und dass der Fall in Schweden untersucht werden könne. Er leitete jedoch nie eine Untersuchung ein. Nach Gesprächen mit dem schwedischen Außenministerium kam er zu dem Schluss, dass eine Untersuchung die Verhandlungen über Isaaks Freilassung gefährden würde. Auch diese Entscheidung ist heftig kritisiert worden.
Im Jahr 2020 wurde eine neue Beschwerde eingereicht, die unter anderem von mehreren international bekannten Menschenrechtsanwälten unterzeichnet wurde, darunter: Irwin Cotler, ehemaliger Justizminister und Generalstaatsanwalt Kanadas, Antoine Bernard, Rechtsanwalt und Senior Adviser for International Litigation (RSF), David Matas, kanadischer Menschenrechtsanwalt, Navi Pillay, ehemalige Richterin am Obersten Gerichtshof Südafrikas, ehemalige Präsidentin des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda und ehemalige Richterin am Internationalen Strafgerichtshof sowie ehemalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Pansy Tlakula, ehemalige Vorsitzende der Afrikanischen Kommission, Bernhard Docke, Strafverteidiger und Menschenrechtsanwalt und Mitglied des Menschenrechtsausschusses der deutschen Bundesrechtsanwaltskammer, Richterin Shirin Ebadi, Trägerin des Friedensnobelpreises, und Philippe Sands, ehemaliger Präsident des englischen PEN.
Im September 2024 erstattete RSF eine vierte Anzeige bei der schwedischen Staatsanwaltschaft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch eritreische Führer – einschließlich Präsident Isaias Afwerki – gegen den inhaftierten Dawit Isaak. Die Anzeige wurde zusammen mit dem schwedischen Anwaltsteam, bestehend aus Percy Bratt und Jesús Alcalá, erstattet.
Seit seiner Inhaftierung ist Dawit Isaak zu einem der bekanntesten politischen Gefangenen der Welt geworden. Er ist nach wie vor in Eritrea inhaftiert und wird seit über zwei Jahrzehnten ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten. Im Laufe der Jahre haben sich Aktivisten, Menschenrechtsorganisationen und internationale Regierungen für seine Freilassung eingesetzt und Dawit als Symbol für den Kampf um Presse- und Meinungsfreiheit anerkannt. Die schwedische Regierung hat zahlreiche diplomatische Bemühungen unternommen, um seine Freilassung zu erwirken, aber das eritreische Regime hat sich dem Druck von außen widersetzt. Eritreische Beamte haben ohne Beweise behauptet, Dawits Fall sei eine „nationale Sicherheitsfrage“, und sich geweigert, internationalen Beobachtern Zugang zu ihm zu gewähren oder wesentliche Informationen über seinen Zustand zu liefern.
Die eritreische Regierung betrachtet Dawit Isaak als Verräter, und er lebt derzeit unter harten Bedingungen. Berichten zufolge wurde er gefoltert und erhielt keine medizinische Grundversorgung. Sein Zustand ist nach wie vor weitgehend unbekannt. Trotz dieser harten Bedingungen hat Dawits Geschichte weltweites Aufsehen erregt und die Aufmerksamkeit auf die Notlage von Journalisten in repressiven Regimen gelenkt.
Auch heute noch ist die freie Meinungsäußerung in Eritrea stark eingeschränkt und die freie Presse verboten – das Land ist nach wie vor einer der repressivsten Staaten der Welt, in dem keine freien Wahlen stattfinden und die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt ist.